Der AHV geht in wenigen Jahren das Geld aus. Bundesrat und Parlament schlagen nun vor, über die Angleichung des Frauenrentenalters auf 65 sowie die Erhöhung der Mehrwertsteuer um 0.4 Prozentpunkte mehr Einnahmen zu generieren.
Das ist der grosse Streitpunkt. Tatsächlich werden die Frauen in Zukunft länger arbeiten müssen - aber nicht länger als die Männer auch. Ein Jahr mehr Arbeit bedeutet ein Jahr länger Lohnbeiträge zahlen und ein Jahr weniger Rente beziehen. Dadurch fliessen ab 2030 rund 1.4 Milliarden Franken zusätzlich in die AHV.
Darauf gibt es mehrere Antworten. Auf der einen Seite gibt es Frauen, die ein höheres Rentenalter kategorisch ablehnen, weil sie immer noch häufiger tiefe Löhne haben und mehr unentgeltliche Betreuungs- und Pflegearbeit leisten als Männer. Auf der anderen Seite sind Frauen ebenfalls an einer stabilen AHV interessiert - auch weil sie unter dem Strich stärker profitieren: Sie zahlten 2019 rund 34 Prozent der Beiträge an die AHV, die Männer finanzierten die restlichen 66 Prozent. Gleichzeitig erhielten die Frauen zuletzt 55 Prozent der Rentensumme überwiesen, Männer 45 Prozent. Die Frauen beziehen aktuell fünf Jahre länger Rente, sie ist im Schnitt mit 1886 Franken pro Monat zudem leicht höher als jene der Männer mit 1863 Franken. Als Ausgleich zum höheren Rentenalter erhalten Frauen, die kurz vor der Pension stehen, ausserdem einen Rentenzuschlag.
Frauen, die bis 2024 pensioniert werden, sind nicht von den Änderungen betroffen. Ab 2025 steigt das Rentenalter jährlich um drei Monate. Erst ab 2028 gilt Rentenalter 65 für alle. Frauen, die zwischen 1961 und 1969 geboren sind, erhalten einen Zuschlag von 12 bis 160 Franken auf ihre monatliche AHV-Rente - ein Leben lang. Das sind bei durchschnittlicher Lebenserwartung bis zu 42'240 Franken. Die Höhe des Betrags ist abhängig vom Einkommen sowie von der direkten Betroffenheit: Wer drei Monate länger arbeiten muss, kriegt weniger Zustupf als jene, die ein ganzes Jahr mehr arbeiten müssen.
Doch, das können sie. Für Frauen der Übergangsgeneration mit tiefen Einkommen ist eine Pensionierung bereits mit 64 ohne Folgen möglich. Für Frauen mit höheren Einkommen gilt ein tieferer Kürzungssatz. Das Parlament hat auch hier eine soziale Abfederung beschlossen.
Nein. Das Parlament hat eine Klausel ins Gesetz geschrieben, wonach der Rentenzuschlag für Frauen der Übergangsgeneration keine Kürzungen der Ergänzungsleistung zur Folge haben darf. Gerade sie profitieren also.
Das stimmt, aber eben auch nur bedingt. Die Anpassung des Rentenalters der Frauen verringert die Ausgaben der AHV kumuliert bis 2032 etwa um 9 Milliarden Franken. Die Ausgleichsmassnahmen kosten im Gegenzug kumuliert bis 2032 etwa 2.8 Milliarden Franken. Doch der Beitrag von rund 6 Milliarden Franken ist nur ein Teil der Reform. Die Konsumenten geben zusätzlich rund 1.5 Milliarden Franken pro Jahr an die Finanzierung der AHV ab. Dies geschieht über die Anhebung der Mehrwertsteuer um 0.4 auf 8.1 Prozent. Kumuliert spült diese Erhöhung bis 2032 mehr als 12 Milliarden Franken in die AHV.
Die kurze Antwort heisst: Die Gesellschaft altert - und das relativ schnell. Als die AHV 1948 eingeführt wurde, lebten die Männer noch 12 Jahre nach der Rente, die Frauen 13. Die Lebenserwartung wuchs seither massiv: Den Männer bleiben nach der Pension im Schnitt noch 19 Jahre zu leben, den Frauen 22. Das bedeutet aber auch, dass Renten über eine viel längere Zeit ausbezahlt werden müssen. Eine zweite - und für die mittelfristige Finanzierung viel triftigere Entwicklung - ist die Pensionierung der geburtenreichen Jahrgänge 1955 bis 1970, der Babyboom-Generation. Diese Personen sind bereits oder stehen kurz vor der Pensionierung. Das bedeutet: Die Zahl der Rentnerinnen steigt rasant, jene der Erwerbstätigen weniger. Diese Verschiebung verschärft die finanzielle Situation der AHV, weil der Grossteil der Renten über Lohnabgaben finanziert ist.
Das Verhältnis schrumpfte von 6.5 Erwerbstätigen pro Rentnerin 1948 auf aktuell 3.2. Prognosen des Bundesamts für Statistik gehen für 2050 noch von knapp 2 Erwerbstätigen aus, welche die Rente einer Person finanzieren müssen. Was das für die AHV bedeutet: Im aktuellen Jahr werden rund 48 Milliarden Franken an Renten ausbezahlt, 2030 werden es geschätzte 60 Milliarden sein. Die Einnahmen über Lohnbeiträge wachsen aber im gleichen Zeitraum von 36 auf nur 41 Milliarden. Die wachsende Finanzierungslücke kann zwar durch steigende Einnahmen über die Bundes- und Mehrwertsteuer gedeckt werden. Aber eben nicht ganz. 2030 fehlen der AHV-Kasse rund drei Milliarden Franken - und das Loch wird mit jedem Jahr grösser.
Das stimmt. Die Finanzen der AHV sind aktuell stabil. Das heisst: Die Einnahmen über Lohnabgaben und Steuern waren höher als die Ausgaben für die Renten. Das sogenannte Umlageergebnis war in den letzten zwei Jahren positiv. 2021 betrug es 880 Millionen Franken. Allerdings geht es der AHV nur so gut, weil das Parlament 2019 eine Finanzspritze (STAF) beschloss. Damals wurden die Lohnabgaben sowie der Bundesbeitrag erhöht und ein Teil der Mehrwertsteuer vom Bund an die AHV umgeleitet. Seither fliessen jedes Jahr 2 Milliarden Franken zusätzlich in die AHV. Diese Finanzspritze beendete eine Defizitperiode, die 2014 startete. Doch die Hilfe wirkt nur kurz. Bereits 2025 kippt das Ergebnis wieder ins Negative.
Ja. Die letzten 20 Jahre zeigen, dass die Prognosen stets negativer waren als die Realität. Seit 1998 wird der AHV ein Defizit prophezeit, erst 2014 traf es ein.
Um Prognosen zu erstellen, rechnen die Statistiker des Bundes mit Annahmen über Migration, über Lohnentwicklung, über die Lebenserwartung. Alle diese Faktoren beeinflussen die AHV-Rechnung. So entpuppte sich beispielsweise die hohe Zuwanderung als Segen für die AHV: Anstatt 20000 Personen wanderten ab 2002 dank Personenfreizügigkeit im Schnitt mehr als 50000 Personen ein. Und sie zahlten als meist gut qualifizierte Fachkräfte viel Geld ein. Gleichzeitig stiegen die Löhne und auch die Qualifikation der Arbeitnehmer. Und auch die Erwerbsquote der Frauen wuchs. Das alles führte zu Mehreinnahmen.
Einerseits ist die hohe Zuwanderung politisch nicht mehr gewollt. Zweitens gab Bundesrat Alain Berset zu bedenken, dass eine drohende wirtschaftliche Abkühlung direkte Konsequenzen auf die Stabilität der AHV hat. Und schliesslich hat die AHV spätestens ab 2030 ein massives strukturelles Problem, wegen der erwähnten Verschiebung durch die Babyboom-Generation. Ab dann werden die Zahlen tiefrot.
Auch darüber lässt sich streiten. Die SP warnt nun davor. Nur ist das auch nicht ganz ehrlich. Die Reform wurde verabschiedet, als weder Krieg in Europa noch Gas- oder Nahrungsmittelknappheit herrschten. Andere Ansätze zur AHV-Finanzierung wie höhere Kapital- oder die Erbschaftssteuern hat das Volk zuletzt verworfen. Für die Mehrwertsteuer spricht, dass auch die Rentnerinnen und Rentner ihren Beitrag an die Reform beisteuern.
Auch Männer profitieren von einer stabilen Finanzierung der AHV. Mit der aktuellen Vorlage wird zudem die Möglichkeit geschaffen, die Erwerbstätigkeit rund um die Pensionierung flexibel und individuell zu gestalten. Heute lässt sich die Rente um maximal zwei Jahre vorbeziehen und das jeweils nur in Jahresschritten. Auch ein Aufschub ist heute nur ganz oder gar nicht möglich.
Neu können Frauen und Männer ihre Rente zwischen 63 und 70 Jahren beziehen. Sie können entscheiden, in einem Teilzeitpensum weiterzuarbeiten und auch nur eine Teilrente zu beziehen. Zudem besteht bei Weiterarbeit nach 65 die Möglichkeit, Beitragslücken zu schliessen oder die AHV bis zur Maximalrente aufzubessern. Ältere Erwerbstätige können entscheiden, ob sie auf den Freibetrag verzichten, das sind 1400 Franken pro Monat, auf die sie keine Sozialbeiträge zahlen müssen. Oder ob sie die Beiträge zur genannten Rentenverbesserung einsetzen wollen.
Es stehen zwei Vorlagen zur Abstimmung. Erstens die Zusatzfinanzierung über die Mehrwertsteuer. Für diese braucht es eine Verfassungsänderung. Volk und Stände müssen beiden zwingend zustimmen. Zweitens haben die Gewerkschaften zusammen mit der SP und den Grünen das Referendum gegen die Gesetzesänderung zur AHV ergriffen und eine Abstimmung provoziert. Jetzt muss die Bevölkerung parallel über beide Vorlagen entscheiden.
Dann sind gleich beide Teile der Reform gescheitert. Das Parlament hat entschieden, die Vorlagen zu verknüpfen: eine Erhöhung der Mehrwertsteuer soll es nur dann geben, wenn auch das Rentenalter der Frauen angeglichen wird - und umgekehrt.
Bei der Erhöhung des Frauenrentenalters sind die Fronten klar: Die bürgerlichen Parteien bis hin zur GLP unterstützten die Reform im Parlament, Grüne und Sozialdemokraten lehnten sie ab. Einer Zusatzfinanzierung waren viele Linke im Rat nicht abgeneigt, wenn das auch heute wegen steigender Inflation wieder etwas anders tönt. (laargauerzeitung.ch)
Ausserdem macht die Angleichung im Zuge der Gleichstellung Sinn. Bitte kein Whataboutism. Und in der nahen Zukunft gehört auch der Umwandlungssatz der 2. Säule angepasst, da sehe ich noch grösseren Bedarf als bei der AHV.